Das große Ziel:
Wie arbeiten Management und Mitarbeitende an einer gemeinsamen Mission?
In einer sich rasant verändernden Welt kommen Unternehmer um neue Arbeitsformen nicht herum. Wer heute agil arbeiten will, gelangt mit modernen Management-Modellen schneller ans Ziel, sagt New Work-Expertin Dagmar Groß-Böker.
Warum werden Management-Modelle wie OKR immer wichtiger ?
Mit ihnen fokussiert sich das ganze Unternehmen auf eine Mission. OKR oder Objectives and Key Results sind ein Managementsystem, mit dem sich große Ziele definieren lassen. Die Geschäftsleitung gibt vor: Wir wollen bis 2021 Marktführer werden. Die Abteilungen und Ebenen orientieren sich daran – aber sie definieren den Weg zum Ziel auf eigene Art und Weise. Sie formulieren, wie sie innerhalb einer bestimmten Zeit – runtergebrochen auf drei Monate – ein bestimmtes Etappenziel erreichen, etwa: Wir möchten zum Ende des nächsten Quartals unseren Kundenstamm ausbauen (Objective) – und das erreiche ich durch… Dann wird der Plan abgearbeitet und in messbaren Ziele formuliert (Key results). Die Geschäftsführung gibt also anhand ambitionierter Ziele und messbaren Ergebnissen die Ausrichtung des Unternehmens vor. Die unterschiedlichen Teams entscheiden jedoch, wie sie in ihren Bereichen einen Teil dazu beitragen können. OKRs sind dabei immer transparent. Jeder erhält Einblicke in die Ziele und Arbeitsinhalte aller anderen Teams.
Bekommen Mitarbeiter bei so viel Transparenz nicht Schnappatmung ?
Es geht bei OKR nicht um Kontrolle oder um klassische Mitarbeitergespräche am Ende des Geschäftsjahres. Die Ziele werden nicht hierarchisch bewertet. Da die Teams und auch der einzelne Mitarbeiter selbstorganisiert handeln, bewerten sie er ihre Leistung -also das Ergebnis und auch die gemeinsame Zusammenarbeit- quasi selbst. Modernes, agiles Arbeiten heißt unter anderem, schnell auf Veränderungen zur reagieren, anstelle einen strikten Plan akribisch zu verfolgen und auch Fehler zulassen, um neu zu lernen.
Funktioniert OKR mit Hilfe von Kollaborations-Tools?
Es gibt auf dem Markt etliche Tools, die diesen Prozess optimal unterstützen, aber zunächst geht es vor allem darum, die Objectives und Keyresults im Dialog innerhalb der Team zu formulieren: Was kann unser Team und jeder Einzelne dazu beitragen, dass wir unsere Mission und das Jahres-OKR erreichen? Es spielt erstmal keine Rolle, ob man das auf einem Block, einem Bierdeckel oder in einer OKR-Software festhält. Wichtig ist, dass der Fokus von OKR in den Köpfen der Leute ankommt und sie innerlich überzeugt davon sind. Es soll Spaß machen, selbstverantwortlich und intrinsisch motiviert zu arbeiten. Die gemeinsame Vision, die allgemeine Transparenz und sind dabei der Motor – das Ergebnis ist ein Mehr an Wertschöpfung und Agilität.
Ist OKR für jeden Bereich zukunftsweisend ?
Nein, tatsächlich funktionieren klassische Hierarchien im Unternehmen in manchen Abteilungen weiterhin noch ganz gut. Mit OKR können erst mal Teilbereiche, die unter hohem Veränderungsdruck von außer stehen, starten. Nach und nach können weitere Teams dazukommen. Das ist der agile und adaptive Part dieses Rahmenwerks OKR.
Dennoch bedeutet es viel Verantwortung für den Einzelnen – will und kann das jeder ?
Man kann die Einführung von modernen Managementmethoden nicht mit dem Knüppel erzwingen. Dabei unterstützt auch die Begleitung von Changemanagement und das braucht Zeit. Es ist wichtig, sie sich zu nehmen und nur so nehmen wir die Menschen in den Organisationen mit! Unternehmen müssen sich einer zunehmend digitalisierteren Welt stellen. Der Begriff VUCA beschreibt diese neue Welt mit all ihren komplexen und sich ständig ändernden Herausforderungen – eine, in der der Kunde eine ganz neue wichtige Rolle einnimmt, die den Erfolg von Unternehmen in bisher nicht bekannten Ausprägungen bestimmt.
Welche Frage bereitet Unternehmern das größte Kopfzerbrechen ?
Wer sind die Kunden und Wettbewerber von morgen? Und was wollen die Kunden von morgen? Das ist unklar und daher nimmt der Innovationsdruck zu. In so einer Welt braucht es Arbeitsmodelle, die es Mitarbeitern erleichtern, eigenständig und eigenverantwortlich zu handeln, denn sie haben oftmals die Nähe zum Markt. Nur dann entstehen Ideen aus allen Ebenen des Unternehmens, die immer eine unmittelbare Reaktion auf das Marktgeschehen sind. Dazu gehört auch, dass wir behindernde Prozesse, die die Entscheidungsfähigkeit verlangsamen, neu überdenken und agil anpassen.
Gibt es in einer VUCA-Welt überhaupt noch Hierarchien ?
Erst mal ist die VUCA-Welt ja da und die Hierarchien sind es auch noch. Die Unternehmen erkennen jedoch an vielen Stellen die Einschränkungen der alten Organisationsstrukturen und denken neu. Sie lernen gerade, die kostbaren Ressourcen der Mitarbeiter zu nutzen, um nicht am Markt vorbei zu arbeiten.
Welche Einstellung haben Unternehmer zu ihren Mitarbeitern ?
Wenn ich Kunden berate, beobachte ich noch sehr oft, dass Fleiß und Verantwortlichkeit noch immer noch als Top-Einstellungskriterien gelten. Aber die Denkweise ändert sich, nichts ist mehr zementiert. Bewerber mit Ideen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und nicht auf hierarchische Fremdsteuerung setzen, sondern auf marktliche Selbststeuerung stehen im Fokus. Wir brauchen Diversität statt Klone. Sonst führt das zum Untergang vieler Unternehmen. Wer hätte 1990 je gedacht, dass es Brockhaus heute nicht mehr gibt? Hier wären genau die agilen Kompetenzen und die Kunden- und Marktorientierung von Mitarbeitern nötig gewesen. Zu spät. Jetzt gibt es Wikipedia…
Wo liegen die Schwierigkeiten im Umgang mit OKR ?
OKR scheitert langfristig, wenn das Top-Management nicht dahintersteht oder wir die Einführung ohne Changemanagement planen. Aber auch, wenn nur oberflächliche Ziele vorgegeben werden. Ziele ohne Vision und Ambition führen zum Scheitern: „Wir wollen weiterhin so erfolgreich sein wie jetzt!“ – Das wäre eine Luftblase und animiert nicht dazu, neue Wege zu finden. Die Frage muss immer lauten: Wie wollen wir dieses Ziel erreichen? Und wer kann dabei was dazu beitragen?
Sie haben lange in der Personalentwicklung gearbeitet – wie hat sich Ihre Sicht auf den Mitarbeiter verändert ?
Ich habe irgendwann verstanden, dass es nicht darum geht, immer nur den einzelnen Mitarbeiter zu entwickeln, sondern dass ich ein Umfeld schaffen muss, in dem er gut arbeiten kann. Der Mitarbeiter ist Experte. Er ist nah am Markt und seine Erfahrungen und Ideen muss er einbringen dürfen. Nur er kann doch solche Fragen beantworten: Wie können wir uns beim Kunden besser darstellen? Müssen wir Produkte anders überdenken?
Zur Person:
Dagmar Groß-Böker arbeitet als HR Expertin, Organisations- und Führungskräfteentwicklerin. Seit 2016 ist sie Trainerin, Beraterin und Coach mit dem Fokus auf Führung, Change und Kultur.